Blühende Landschaften Rezension

In Bremen werden Einheitsverlierer geheilt
20 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung wagt das Theater Bremen eine witzige Bestandsaufnahme. David Gieselmann, Deutschlands bester Komödienautor, hat das Stück „Blühende Landschaften“ geschrieben. Es spielt in einem Institut, wo sich die treffen, die von der Blüte nichts mitbekommen haben.

Das Informations- und Begegnungszentrum Bremen (IBZB) dient der Versöhnung und Fortbildung einiger trauriger Gestalten, die 20 Jahre nach der Wiedervereinigung immer noch nicht mit der deutschen Einheit klarkommen. Erfinder des IBZB ist der durch seine pointierten Gegenwartskomödien bekannt gewordene Dramatiker David Gieselmann. Die Uraufführung der Einheits-Bestandsaufnahme „Blühende Landschaften“ setzte am Theater Bremen Regisseur Markus Heinzelmann in eine typisch gesamtdeutsche Szenerie.

Einheitsverlierer aus West und Ost, Solidaritätssucher, Utopiefreunde, Erinnerungsarbeiter und Frustüberwinder mit ständig wechselnden Namen und Rollen treffen in einem IBZB-Gruppenraum aufeinander, der mit vielen schmalen Ausgängen angelegt ist wie die Sarkophag-Kammer eines Pharaonengrabes und eingerichtet, als hätte sich ein Experte der Arbeiterwohlfahrt aus Restbeständen einer Mitropa-Autobahnraststätte bedient (Bühne: Jan Müller). An der linken Wand hängen Schwarz-Weiß-Porträts von Franz Josef Strauß, Herbert Wehner, Helmut Schmidt und Willy Brandt, gegenüber Erich Honecker, Erich Mielke, Alexander Schalck-Golodkowski und Egon Krenz.

Natürlich hat das IBZB auch einen ehrenamtlich geschäftsführenden Leiter, der wie in einem ordentlichen Volkshochschulkurs niedrigschwellige Aufgaben stellt und auch mal zur Wandergitarre greift, um das Gemeinschaftsgefühl zu stärken. Tobias Beyer verkörpert ihn als schlaksigen Freizeit-Pädagogen, der direkt der „Feuerzangenbowle“ entsprungen sein könnte. Er schmeißt nicht nur den Laden, sondern als Dreh- und Angelpunkt der Kurshandlung gleich den ganzen Theaterabend.

Gieselmann hat kein erzählendes Stück geschrieben, sondern liefert eine Textur aus fragmentarischen Aussagen zur Wende, zum Ostbefinden und zur Westlichkeit. Das reicht vom berühmten Zitat des Außenministers Hans-Dietrich Genscher auf dem Balkon der deutschen Botschaft in Prag „Wir sind hier zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass Ihre Ausreise heute…“ bis zur FDJ-Hymne „Sag mir wo du stehst“ von der der DDR-Band Oktoberklub. So hält sich denn auch Schauspieler Jan Byl über weite Strecken für Hans-Dietrich Genscher, der versucht, herauszufinden, welche Worte in Prag damals im Applaus der DDR-Botschaftsflüchtlinge untergingen, was er eigentlich noch gesagt hat. Der Vorzeige-Ossi Lutz – geradezu unheimlich sozialistisch real gespielt von Mathis Julian Schulze – entpuppt sich als Wessi, der Anfang der 80er der Liebe wegen in die DDR übersiedelte. Nun ist er auf der Suche nach seiner Ex Claudia, die ihn gleich nach dem Mauerfall im Osten sitzen ließ.

Sowohl Genschman als auch Lutz kann geholfen werden: In von Herrn Tobias angeleiteten Übungen der „recherchierenden Solidarität“ graben die Seminarteilnehmer den zweiten Satz der Prager Ansprache ebenso aus wie Claudias Aufenthaltsort. Die lebt inzwischen verheiratet in Kanada, weshalb Lutz sich der trotzigen Ostlerin Brigitte Dover (Eva Gosciejewicz) zuwendet, die auch als DDR-Bürgerrechtlerin Daniela Dahn auftritt, im Gespräch mit Wolfgang Schäuble.

Gieselmanns Textur vermeidet Klischees keineswegs und blüht deshalb wie die Seelenlandschaften, die er beschreibt, überwiegend an der Oberfläche. Der Regisseur allerdings nutzt die anstößigen Sätze für eine anarchistische Durcheinanderspielweise, die in glückhaften Momenten zeigt, wie tief der Hass zwischen den Wiedervereinigten mitunter wurzelt – beispielhaft vorgeführt im Wutausbruch des Ossihassers Rainer, den Thomas Hatzmann hin- und hergerissen zwischen der Liebe zur finnischen Migrantin Tuuli (Varia Linnéa Sjöström) und der eigenen Hoffnungslosigkeit spielt. Rainer sagt über Tuuli „Die ist doch mindestens Wessi, wenn nicht gar Schwedin“.

Leider macht das Stück sehr viele Worte, so gibt es nicht viel zu spielen. Die Inszenierung braucht knapp eine Stunde, um in Fahrt zu kommen. Verglichen mit der Deutschen Einheit eine hinnehmbare Zeitspanne. Dann wechseln immer zügiger die Rollen, Genscher hält sich erst für Rainald Goetz, dann für Florian Illies, wird wieder zu Genscher und ermutigt Rainer, Utopien zu entwerfen. Tuuli zerschlägt die Kohl-Büste, die eine Karl-Marx-Büste enthält, Lutz wirft sich Brigitte an den Hals, die in ihm ihren Ausweg erkennt.

In dieser Drehzahl wirkt der Text plötzlich angenehm assoziationsanregend für die Zuschauer, die plötzlich doch noch kurz ihre persönliche Wiedervereinigungsbilanz ziehen und überschlagen, wie viele Hektar drinnen und draußen wohl schon blühen. Und wie wenig eigentlich mittlerweile öffentlich noch über die Vergangenheit gestritten wird und wie viel Streit noch nötig wäre, um sich gestaltend der Zukunft zuwenden zu können. Wohin geht die gesamtdeutsche Reise eigentlich? Mit dieser Frage lässt uns das Bühnenvolk am Ende allein.

Die Welt, 14.12.2009, Stefan Grund