Phädra

J. Racine

R|B: Torsten Fischer
K: Jessica Karge

Mit:
Corinna Kirchhoff, Wolfgang Michael, Susanne Barth, Jakob Diehl, Robert Gallinowski, Anika Mauer, Meriam Abbas

Renaissancetheater Berlin P: 30.01.2013

Foto: © BARBARA BRAUN

Der stolzeste Feind einer großen Frau ist sie selbst

Corinna Kirchhoff triumphiert in Racines „Phädra“ am Berliner Renaissance-Theater.

Hell wie in einem Operationssaal ist es auf der Bühne des Berliner Renaissance-Theaters und wird es in den knapp zwei Stunden, die Jean Racines „Phädra“ hier dauert, auch bleiben. Vor einer riesigen weißen, schräg aufgebauten Wand, die den Platz für raumgreifende Aktionen erheblich einschränkt, wirken die dunkel, elegant heutig gekleideten Figuren klein und wie Insekten, die mehr getrieben werden, als dass sie sich frei entscheiden können.

Der Regisseur und Bühnenbildner Torsten Fischer, der die Produktion kurzfristig übernommen hat, verschafft der großen, klassischen Tragödie eine puristische Projektionsfläche, auf der die Sprache als Wille und Vorstellung der Protagonisten zum Ereignis werden kann….
Alle reden wunderhübsch und wunderklug – und sich dabei um Kopf und Kragen.

In erster Linie tut dies die unglückliche Königin Phädra, deren ziemlich untreuer Mann Theseus seit Monaten verschollen ist. Phädra begehrt ihren Stiefsohn Hippolytos über alle Maßen, bloß vergebens, denn der viel jüngere Mann liebt die Prinzessin Arikia ( Meriam Abbas ), was allerdings niemand wissen darf, da ihre Dynastie gerade als feindlich eingestuft ist. Als die Nachricht von Tod des Theseus kolportiert wird, brechen sämtliche emotionalen Dämme….

Die Schauspielerin Corinna Kirchhoff, die sich die Rolle der Phädra wie ein lang gewünschtes Sehnsuchtskostüm anverwandelt hat, reizt den Konflikt zwischen Pflicht und Neigung mit höchstem Risiko aus. Wenn ihre Phädra sich Hippolytos eröffnet, reißt sie ihn,… als reines Objekt ihrer Begierden zu Boden, befingert ihn wie eine Puppe,… als wolle sie haptisch prüfen, was in ihrem „stolzen Feind“ alles drin ist – und ob sich unter all seiner Erschrockenheit, Verweigerung, Abwehr vielleicht irgendwo doch eine Spur von Zuneigung ihr gegenüber findet….

Diese enthemmte Megäre, die ihren Realitätssinn und jede Contenance verloren hat und jetzt endlich ihre Einsamkeit loswerden will, weiß trotzdem, dass sie nicht gewinnen kann. „Gib!“, fleht sie den kämpferisch-rechtschaffenen Jakob Diehl als perplexen Hippolytos an und setzt sich dessen Messer ans Herz: „Stich zu!“. Aber der Stiefsohn will sie weder lieben noch töten, sondern einfach nur weg.

Später wird er freilich ritterlich schweigen, als ihm vorgeworfen wird, er habe seine Stiefmutter sexuell belästigt und als ihn der wider Erwarten heimgekehrte Theseus verstößt. Der alte Haudegen geht bald auch seiner Frau verlustig, die das „schwarze Feuer“ ihrer Leidenschaften in den Kältetod der Gefühle treibt. Sie vergiftet sich in ihrer Not….

Bei Wolfgang Michael ist der zerstörte Ehemann und Vater ein unterschwellig aggressiver Patriarch, der zuletzt im Gram erstarrt, weil ihm jeder weitere Schritt als zu gefährlich erscheint. Angesichts der vielen läppischen Jux-und-Dollerei-Inszenierungen zumal auf den Berliner Bühnen besticht diese hochkonzentrierte Aufführung mit radikalem Formbewusstsein und künstlerischer Kompromisslosigkeit.

Ob die Theaterstars Corinna Kirchhoff und Wolfgang Michael, ob Susanne Barth als Phädras Dienerin, Meriam Abbas als Arikia, Anika Mauer als deren Vertraute, Robert Gallinowski als Erzieher oder eben Jakob Diehl – hochgespannt machen sie alle zusammen die „Phädra“ zum Genuss.

FAZ: 31.01.2013 · Von IRENE BAZINGER