Für einen Produktion, die sich einem frühen Regiewechsels und dem Rücktritt ihres Dirigenten kaum zwei Wochen vor der Premiere stellen musste, macht Bayreuths neuer Parsifal vieles richtig. Uwe-Eric Laufenberg, Intendant in Wiesbaden, wurde der Giftbecher gereicht, die Ablöse für Stefan Herheims epochale Produktion des Werkes (2008-2012) zu inszenieren, als es mit ersten Wahl der Festspiele nicht klappte. Seine Lösung erweist sich anhand jüngster Bayreuth-Standards als eher zahm – keine Ratten, keine ausfließenden Fermenter, Farbschlachten oder Krokodile, die andere Werke im jüngsten und aktuellen Festivalrepertoire charakterisiert haben. Die Tatsche, dass Laufenberg die Oper nicht im mythischen Mittelalter ansiedelt, mag für machen zu modern sein, doch die Bayreuth-Stammgäste von heute sind aus härterem Zeug gemacht und daran gewöhnt, vielleicht ein bisschen mehr herausgefordert zu werden als in dieser Inszenierung. Und doch tut sie das, was sie zu tun sucht, ausgesprochen gut.

Die Handlung wird in den heutigen Irak versetzt, wo eine christliche Gemeinschaft aller Widrigkeiten zum Trotz ausharrt. Ihre Kirche wurde zerbombt, doch Mönche und Gemeinde machen tapfer weiter. In der Zwischenzeit gibt der abtrünnige Klingsor, insgeheim noch Christ, wie sein geheimer Schrein von Kruzifixen vermuten lässt, nach außen hin den Eindruck, zum Islam konvertiert zu haben, und seine Blumenmädchen entledigen sich schwarzer, islamischer Kleidung und werden zu exotischen Verführerinnen. Im dritten Akt angekommen ist die Kirche kaum mehr als eine Ruine und die Mitglieder aller drei abrahamitischen Religionen haben gegenseitigen Schutz gesucht.

Doch mit Parsifals abschließender Heilung von Amfortas‘ Wunde werden all ihre religiösen Artefakte und Symbole in Titurels offenem Sarg verstaut, als alle zusammen in eine postreligiöse Zukunft gehen. Das ist genau, was Wagner mit Blick auf Feuerbach und Schopenhauer im Sinn hatte, dass Erlösung dadurch kommen würde, dass man den Verlass auf die Religion überwindet. Diese Art, das Fazit des Werkes zu inszenieren, ist in letzter Zeit zur gängigen Lösung für Parsifal-Produktionen geworden und es gab weitere Reminiszenzen von früheren Inszenierungen, beispielsweise das brutale Öffnen von Amfortas‘ Wunde und das Teilen seines Blutes im Ritual im ersten Akt, ebenso Amfortas‘ nicht vom Libretto motivierter Auftritt, um im zweiten Akt seine Liaison mit Kundry wieder zu erleben.

„Zum Raum wird hier die Zeit“ (engl. Here time becomes space), wie Gurnemanz Parsifal die Heimstatt des Grals beschreibt, und während der Verwandlungsmusik im ersten Akt zoomt ein projiziertes Video aus der Mitte des Kirchendaches heraus zu den Enden des Kosmos und zurück (hier können wir im Satellitenbild auch den geographischen Ort als Mosul festmachen). Zugegeben, das englische Wortspiel mit „space“ [dt. Raum, aber auch All, Anm. d. Übersetzerin] mag im Deutschen nicht funktionieren und kann darum als zufällig angesehen werden, doch es erwies sich als atemberaubendes Zwischenspiel. Die vergleichbare Szene im dritten Akt begleiten Todesvisionen von Kundry und Titurel sowie – aus keinem ersichtlichen Grund – Wagners Totenmaske. Ein weiteres, unerklärtes Element ist eine regungslos dasitzende Figur auf dem Kirchendach in den ersten beiden Aufzügen, die man am Ende des dritten zusammengesunken und tot sieht. Vielleicht war es am Ende doch Wagner.

Bedenkt man, dass er das Dirigat so spät von Andris Nelsons übernommen hat, zeigte Hartmut Haenchen, dass er die schwierige Akustik des Theaters schon bei der zweiten Vorstellung gemeistert hatte. Er wählte modisch rasche Tempi in diesem berüchtigt langsam laufenden Werk, doch nie schienen diese übereilt, und er gab seinen Sängern viel Raum. Klaus Florian Vogts verlieh der Titelrolle keinen konventionell heroischen Wagnertenor und sein fahler Ton hatte eine Tendenz zum Monotonen, doch er sah als Unschuldiger, der Selbstoffenbarung erfährt, gut aus.

Abgesehen davon war die Besetzung so gut, wie man es in diesem Werk heutzutage zu hören bekommt. Georg Zeppenfelds Gurnemanz war ein Meisterkurs in klarer Artikulation, opulentem Basston und vokalem Charisma, und Elena Pankratovas Kundry war packend, nirgends mehr als auf ihrem forschen und ausgedehnten „lachte“, das das Publikum in der darauffolgenden Stille sprachlos ließ. Ryan McKinny, durchnässt und blutend, zeigt seine Kunst als wohlwollender, stimmlich runder Amfortas. Karl-Heinz Lehner gab einen energischen Titurel und Gerd Grochowski war als Klingsor bei starker Stimme. Die Gralsritter, Knappen und Blumenmädchen bewährten sich und der kraftvolle Bayreuther Festspielchor wurde seinem Ruf als bester Opernchor im Geschäft gerecht.

 

Aus dem Englischen übertragen von Hedy Mühleck.