Erlösung von der Religion

von Thomas Molke
Online Musik Magazin

FAZIT :

Musikalisch ist dieser Parsifal  auch im vierten Jahr ein Erlebnis. Szenisch geht der gesamtreligiöse Ansatz im Großen und Ganzen auf, lässt allerdings auch ein paar Fragen offen.

Richard Wagners letztes Bühnenwerk Parsifal mag sicherlich das originärste Stück sein, das bei den Bayreuther Festspielen aufgeführt wird. Schließlich hatte Wagner das Bühnenweihfestspiel, wie er selbst es nannte, eigens für das Festspielhaus komponiert und untersagt, dass dieses Werk außerhalb Bayreuths überhaupt zur Aufführung kommt. Auch seine Witwe Cosima hatte 1913 eine Petition bei Kaiser Wilhelm II. eingereicht, die Schutzfrist, die damals 30 Jahre nach dem Tod des Komponisten auslief, zu verlängern. Ihr Ansinnen war allerdings nicht von Erfolg gekrönt, so dass Parsifal seitdem auch die anderen Opernbühnen eroberte und sich einen festen Platz im Repertoire erarbeitete, auch wenn das musikalische Erlebnis im Festspielhaus durch die besondere Akustik für viele Wagner-Anhänger immer noch etwas ganz Besonderes darstellt, was andernorts schwer einzufangen ist. Die Inszenierung von Uwe Eric Laufenberg steht nun bei den Festspielen im vierten und gleichzeitig letzten Jahr auf dem Programm. Da 2020 ein neuer Ring geschmiedet wird, muss man sich folglich 2019 neben Tristan und Isolde auch vom Parsifal verabschieden.

Nachdem von Christoph Schlingensiefs Inszenierung 2004 bis 2007 vor allem der verwesende Hase im Gedächtnis geblieben ist und Stefan Herheim in seiner Regie in der Folgeproduktion, die von 2008 bis 2012 lief, die deutsche Geschichte Revue passieren ließ, konzentriert sich Uwe Eric Laufenberg auf die Bedeutung der Religion im Allgemeinen. Dafür siedelt er die Geschichte in der Gegenwart irgendwo im Irak an. In einem heruntergekommenen Gotteshaus bieten die Gralsritter schon während der Ouvertüre zahlreichen Schutzsuchenden Zuflucht. Wenn sich der Vorhang hebt kündet die Sonne, die durch ein Loch in der von einem Bombenangriff beschädigten Decke hinein scheint, den Beginn eines neuen Tages an. Die Flüchtlinge, die ihr Lager auf zahlreichen Liegen aufgeschlagen haben, werden von den Gralsrittern aufgefordert, sich mit ihren Liegen zurückzuziehen, bevor patrouillierende Soldaten mit Maschinengewehren den Raum inspizieren. Hinter der Apsis sieht man einen Zaun, der das Gebäude einschließen mag. Diese kleine christliche Gemeinde ist in Bedrängnis. Ob sie sich allerdings wirklich für das Schicksal anderer Menschen interessiert, ist fraglich. Dem von Parsifal getöteten Schwan wird nämlich wesentlich mehr Aufmerksamkeit geschenkt als einem kleinen Jungen, der kurz vor dieser Szene in den Kirchenraum läuft und tot zusammenbricht. Einzig Kundry, die in dieser Szene wie eine Beduinin gekleidet ist, da sie gerade für den wunden Amfortas ein heilendes Kraut aus Arabien besorgt hat, scheint Anteil am Schicksal des Jungen zu nehmen.

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Gralsenthüllung der besonderen Art: Amfortas (Ryan McKinny, Mitte) mit den beiden Gralsrittern (von links: Martin Homrich und Timo Riihonen)

In der von Gisbert Jäkel in der Mitte der Bühne gestalteten Apsis dominiert ein riesiges Taufbecken die Szene, das für die Gralsenthüllung nach vorne gezogen wird und eine durchaus fragwürdige Rolle spielt. Vorher entführt Gérard Naziri das Publikum allerdings in einer Videoprojektion auf eine Reise, die aus der Kirche hinaus bis in die Galaxie und wieder zurück in den Saal führt. Was das soll, außer vielleicht einen Umbau zu ermöglichen, wird nicht wirklich klar. Amfortas erscheint zur Gralsenthüllung mit Dornenkrone und erinnert an den gekreuzigten Jesus. Anschließend wird eine Wunde, die er auf der rechten Seite hat, von den Gralsrittern geöffnet. Das bei dieser Aderlassung reichlich fließende Kunstblut wird von den Gralsrittern in Kelchen aufgefangen und in Form eines Abendmahls getrunken. Dass Parsifal auf diese Zeremonie geschockt und verständnislos reagiert, verwundert eigentlich nicht. Für den enttäuschten Gurnemanz reicht es jedenfalls, ihn der Kirche zu verweisen.

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Klingsor (Derek Welton) mit zahlreichen Kreuzen als Trophäen

Der zweite Aufzug erinnert dann an ein türkisches Hamam, das Klingsor gewissermaßen als Gegenentwurf zur Gralsburg geschaffen hat und in dem er die Gralsritter verführen lassen will. Auf einer weiteren Ebene hat er sich einen Raum eingerichtet, von dem aus er das Geschehen auf der Bühne überwachen kann und in dem zahlreiche Kreuze hängen, die vielleicht für die Gralsritter stehen, die er in seinen Bann gezogen hat. In der Auseinandersetzung mit Kundry, die er als Geheimwaffe gegen den nahenden Parsifal einsetzen will, fungiert das Kreuz als sexuelles Symbol und Zeichen seiner eigenen Entmannung. Wieso Amfortas in Klingsors Reich als Geisel gehalten wird, erschließt sich nicht wirklich. Ist sein Auftritt während Kundrys Kuss in dem späteren Verführungsversuch Parsifals wirklich nötig, um Parsifal an die Geschehnisse zu erinnern, die er bei der Gralsenthüllung erlebt hat? Die Szene mit den Blumenmädchen zuvor verläuft hingegen recht überzeugend. Auch wenn sie zunächst alle schwarz verschleiert auftreten und damit nicht sehr verlockend wirken, entledigen sie sich schnell ihrer Trauer um die gefallenen Helden, die Parsifal auf dem Weg zu Klingsors Burg getötet hat, und bilden in ihren knappen bunten Kostümen eine regelrechte Augenweide. So verfehlen sie auch bei Parsifal ihre Wirkung nicht, wenn er sich genüsslich seines Kriegsanzugs entledigen lässt und mit ihnen ins Bad steigt. Es ist fraglich, ob Kundry bei diesem Treiben überhaupt eingreifen muss.

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Nach jahrelanger Wanderung kehrt Parsifal (Andreas Schager, Mitte) zu Gurnemanz (Günther Groissböck, hinten rechts) und Kundry (Elena Pankratova) in die Gralsburg zurück.

Die Auseinandersetzung mit Klingsor folgt dann nach der Zurückweisung Kundrys in direkter Gegenüberstellung. Klingsor wirft die Lanze nicht, sondern geht mit ihr auf Parsifal los. Mit scheinbarer Leichtigkeit nimmt Parsifal ihm die Lanze ab und zerbricht sie, um sie anschließend zu einem Kreuz zu formen und Klingsors Zauber zu bannen. Die Kreuze aus dem Schrein fallen auf die Bühne herab und lassen Parsifal siegesgewiss den Rückweg zur Gralsburg antreten. Diese zu finden, bedarf allerdings wohl einiger Zeit. Der dritte Aufzug zeigt ein verfallenes Kirchengebäude, in das sich die Natur in Form von gewaltigen riesigen Urwaldpflanzen ihren Weg zurückgebahnt hat. Kundry tritt nun als greise alte Frau auf, die scheinbar an Parkinson leidet. Da sie außer der beiden Worte „Dienen, dienen“ nichts mehr zu singen hat, lässt Laufenberg sie im Hintergrund zunächst einen alten Kühlschrank inspizieren, den sie anschließend abzuwaschen versucht. Wenn Parsifal schließlich den Weg zurück zum greisen Gurnemanz findet, wird die Szene, in der sie Parsifal die Füße salbt und anschließend von ihm die Taufe empfängt, recht textnah umgesetzt. Anschließend nimmt sie in einem Rollstuhl Platz und lässt sich von Parsifal von der Bühne schieben.

Der Karfreitagszauber findet als eine Art Dusche im Regenwald statt. Zwischen den riesigen Pflanzen im Hintergrund strömt heftig fließender Regen herab, in dem Statisten ein erfrischendes Bad nehmen. Die Nacktheit soll wohl für die Unschuld stehen, ist aber eigentlich überflüssig. Eine weitere Videoprojektion, die den Umbau zum Raum des ersten Aufzugs ermöglicht, gibt erneut Rätsel auf. Auf der Leinwand wird in grauen Farbtönen der Regen aus dem Wald wieder aufgegriffen, aus dem sich nacheinander die Gesichter von Winifred, Wolfgang und Richard Wagner herausbilden. An den Rändern scheinen sie dann in rieselndem Sand zu versinken, bevor sie wieder ganz verschwinden. Auch in dem Sarg, in dem der mittlerweile verstorbene Titurel auf die Bühne getragen wird, befindet sich nur noch seine Asche oder eben Sand. Vehement fordern die Gralsritter, die jetzt Angehörige aller möglichen Religionen verkörpern, bei Amfortas ein letztes Mal die Enthüllung des Grals ein, die dieser allerdings strikt verweigert. Stattdessen legt er sich in den Sarg und hofft, endlich sterben zu können. Parsifal tritt nun in einem schwarzen Anzug wie ein Politiker auf und legt die zum Kreuz geformte Lanze in den Sarg. Die Gralsritter folgen ihm, indem sie sich alle irgendwelcher Reliquien im Sarg entledigen. Erlösung gibt es folglich nicht in der Religion, sondern nur durch die Befreiung von dieser.

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Kundry (Elena Pankratova) versucht, Parsifal (Andreas Schager) zu verführen.

Wie das Publikum der besuchten Aufführung zu dieser szenischen Deutung steht, kann nur gemutmaßt werden, da das Regie-Team sich nicht zeigt. Musikalisch bewegt sich der Abend auf hohem Niveau und wird von den Zuschauern frenetisch gefeiert. Da ist zunächst das großartige Dirigat von Semyon Bychkov zu nennen, der das Festspielorchester mit weichem und umsichtigem Klang auf die Diktion der Solisten abstimmt. So folgt die Musik stets dem gesungenen Wort, was vor allem bei Günther Groissböck als Gurnemanz von großer Bedeutung ist, da er in seinen langen Erzählungen vieles zum Verständnis der Vorgeschichte beiträgt. Groisböck begeistert mit kräftigem Bass und einer sehr deutlichen Diktion, was schon eine gewisse Vorfreude auf seinen Wotan aufkommen lässt, den er im Bayreuth-Ring im nächsten Festspielsommer interpretieren wird. Andreas Schager glänzt erneut in der Titelpartie mit strahlendem Heldentenor und unendlich scheinenden Kraftreserven. Auch ihm ist eine hervorragende Textverständlichkeit zu bescheinigen. Darstellerisch überzeugt er in seiner Wandlung vom reinen Tor zum durch Mitleid Wissenden. Elena Pankratova bringt auch im vierten Jahr als Kundry das Festspielpublikum zum Toben. Mit großer Dramatik und Intensität gestaltet sie die Partie und besitzt auch im letzten Aufzug, wenn sie eigentlich nichts mehr zu singen hat, eine enorme Bühnenpräsenz. Ein weiterer Star des Abends ist Derek Welton als Klingsor, der über einen markanten Bassbariton verfügt, der mit Schager und Pankratova den zweiten Aufzug zum musikalischen Höhepunkt des Abends werden lässt.

Ryan McKinny kehrt als Amfortas zurück und überzeugt durch dunklen Bass. Der von Eberhard Friedrich einstudierte Festspielchor begeistert durch opulenten Klang. Auch die Stimmen der Blumenmädchen harmonieren sehr gut. Allerdings lässt sich textlich bei ihnen kaum etwas verstehen, was aber vielleicht auch nicht ganz so wichtig ist, da die Szene auch so klar wird.

Stürmisch gefeierte Besetzung

 

Szenenbilder der Wagner-Oper "Parsifal", Bayreuth 2019 | Bildquelle: Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath

Öfter mal leere Symbolik

„Parsifal“-Bühnenbild von Gisbert Jäkel | Bildquelle: Bayreuther Festspiele / Enrico NawrathNicht nur die Rahmenhandlung, die im 1. Aufzug die Gralsgemeinschaft als Flüchtlingslager im Krisengebiet darstellt, wird weiterhin überhaupt nicht verfolgt. Auch die Symbolik, mit der Laufenberg reichlich spielt, bleibt zu oft leer: Jesus ‚runter vom Kreuz und wieder ‚ran ans Kreuz; Klingsors verquaste religiöse Haltung zwischen Gebetsteppich und Pimmel-Kreuzen; das zu Boden fallende Kind bei der Ermordung des Schwans und vieles weitere.

Dass Parsifal den Speer als Zeichen des Kampfes und der Gewalt zerbricht und daraus ein Kreuz formt, das christliche Symbol der Erlösung, ist ein starkes Bild. Dass aber, wie oben gezeigt, Parsifal als der große Überwinder der Religionen gezeigt wird, will dazu wieder nicht wirklich passen.

 

Es wird viel herumgestanden

Viele Regiefäden hängen also im Losen. Viel wird mittlerweile Rumgestanden in Gisbert Jäkels akustisch formidablen Bühnenbild. Die Videosequenzen von Gérard Naziri wirken in Sachen Optik und dramaturgischer Einsatz – gerade im Vergleich zum aktuellen Kratzer-„Tannhäuser“ – recht verstaubt. Bei alledem gab es heuer keine Buhs für das Regieteam. Begeisterungsstürme allerdings ebenfalls nicht.

 

Dirigent Bychkov dosiert den Klang gekonnt

Zu begeistern vermochte allerdings Semyon Bychkov. Eine derart symphonische Qualität erreicht beim wunderbaren Festspielorchester sonst nur Christian Thielemann. Bychkov baut brucknerhafte Steigerungen. Er dosiert den Klang und ist auf diese Art immer fähig, noch eine Schippe draufzulegen. Dabei lässt er sich nicht festlegen. Die Verwandlungsmusik nimmt er sehr agogisch, nach vorne gehend. Genau wie die Grals-Chöre (Einstudierung: Eberhard Friedrich), die selten so gewaltig und anklagend klangen, wie hier im 3. Aufzug. Anderes dagegen zelebriert Bychkov. Im Karfreitagszauber spielt er mit den klanglichen Facetten, badet im Streichersound, baut das Holz fein abgestimmt in den Obertönen darüber. Im Vorspiel und weiten Teilen der Gurnemanz-Erzählungen wiederum wälzt der Dirigent das Tempo aus.

 

Im Schlussakt ist Groissböck stimmlich voll da

Vielleicht ist das auch ein Grund, warum Günther Groissböck nicht schon im 1. Aufzug die Präsenz hat, die man von ihm gewohnt ist. Erst im Schlussakt ist er stimmlich voll da, spannt wunderschöne, kraftvolle Bögen im Karfreitagszauber und prunkt in der Taufszene mit heldenbaritonalen hohen E’s, wo andere Kollegen schon die Segel streichen. Die Vorfreude auf den Wotan, den er kommendes Jahr in Bayreuth singen wird, wächst und wächst …

 

Andreas Schager singt einen großartigen Parsifal

Szenenbilder der Wagner-Oper "Parsifal", Bayreuth 2019 | Bildquelle: Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath

Parsifal (Andreas Schager) umringt von Klingsors Zaubermädchen/Chor der Bayreuther Festspiele. | Bildquelle: Bayreuther Festspiele / Enrico NawrathDerek Welton singt den Wotan bereits an seinem Stammhaus, der Deutschen Oper Berlin. In Bayreuth schleudert er als Klingsor gewaltige Töne, für die er aber gefühlt auch an die Grenzen geht. Etwas von seiner kraftvollen Höhe möchte man Ryan McKinny als Amfortas wünschen, der zwar mit durchtrainierten Oberarmen und vollem darstellerischen Einsatz glänzt, stimmlich aber doch sehr blass bleibt.

Andreas Schager in der Titelpartie hat mit Phonstärken keine Probleme, mühelos strahlt die Stimme auch bei „Nur eine Waffe taugt“. Und bei aller, auch darstellerischen Virilität und Vehemenz bleibt Raum für das Zarte, Lyrische.

 

 

Elena Pankratova – die ideale Kundry

Szenenbilder der Wagner-Oper "Parsifal", Bayreuth 2019 | Bildquelle: Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath

Elena Kundry als Kundry und Andreas Schager als Parsifal | Bildquelle: Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath

Die Kundry braucht eigentlich drei Stimmen: eine Altstimme für den 1. Aufzug, eine lyrisch-jugendliche für die Verführung und eine hochdramatische für den Schluss des 2. Aufzugs. Bei fast allen Sängerinnen müssen da Abstriche gemacht werden. Bei Elena Pankratova nicht. Von der dunklen, warmen, raumfüllenden Tiefe bis zu den brünnhildenhaften Ausbrüchen in der Höhe bleibt die Stimme rund und klangschön.

Zudem gehört dank ihrem Spiel die Taufe der alten, kranken Kundry zu den wenigen auch szenisch anrührenden Momenten an diesem Abend. Auch wenn der Text nicht immer zu verstehen ist: Pankratova ist momentan die Idealbesetzung. Und wird dementsprechend, wie die gesamte Besetzung, stürmisch und lange gefeiert.

Parsifal – ein Musikweihe-festspiel

Gewänder zweitrangig

Quasi mit dem ersten Akt wird man in den Bann dieser Musik gezogen. Nicht kitschig, aber weihevoll und fein abgestimmt klingt das Vorspiel aus dem verdeckten Graben, man möchte dahinschmelzen vor der Schönheit dieser Musik.

Günther Groissböck überzeugt als Gurnemanz.

 

 

 

Egal ob in Kutte oder Goldhemd: Günther Groissböck überzeugt als Gurnemanz in Parsifal. © Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele

 

Dann ist es auch ziemlich gleichgültig, ob ein Gurnemanz in eine olle Kutte oder ein güldenes Gewand gehüllt ist, Hauptsache er singt mindestens auf dem Niveau wie Günther Groissböck, ohne sportliche Kraft, sondern  herrschaftlich geschmeidig. Ein peppigeres Gewand ist Kundry vergönnt, wenngleich erst im zweiten Akt – auch das ist egal, Elena Pankratova zeigt sich als wirkliche Größe der Bayreuther Festspiele. Wie am Abend zuvor als Ortrud zeigt sie eine Stimme, die all ihren hohen Ansprüchen gerecht werden. Wunderbar.

Szene aus Parsifal, Bayreuther Festspiele 2019, Kundry - Elena Pankratova - und Amfortas - Ryan McKinny

 

 

 

Elena Pankratova als Kundry und Ryan McKinny als Amfortas. © Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele

 

Andreas Schagers Parsifal ist fordernd, von naiv bis kraftvoll, um am Ende wissend zu siegen. Den Leidenden verkörpert im wahrsten Sinne des Wortes in diesem Jahr wieder Ryan McKinny als Amfortas. Wer genau hinschauen kann, leidet nachgerade mit, so echt wirken die Wunden. Hier haben auch die Maskenbildner der Bayreuther Festspiele ganze Arbeit geleistet.

Szene aus dem ersten Akt Parsifal, Bayreuther Festspiele - Amfortas und die Wunde.

 

 

 

Die Maske der Bayreuther Festspiele hat ganze Arbeit geleistet: Der leidende Amfortas und die Wunde, die geöffnet werden muss. © Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele

Chor krönt die Vorstellung

Bestens besetzt sind zudem die Rollen für einen Akt: Derek Welton als Fetisch liebender Klingsor und Wilhelm Schwinghammer als egoistischer Titurel.

Der musikalischen Weihe setzen die Chöre auf und hinter der Bühne die Krone auf, wenngleich die Hintergrundstimmen zur Gralsmusik im ersten Akt etwas zu sehr im Off hängenbleiben. Ein Minimakel an einer durchwegs großartigen Leistung.

Die Religions-Kritik, die Regisseur Uwe Eric Laufenberg in den Bayreuther Parsifal gepackt hat, spielt bei diesem musikalischen Hochgenuss dann eher die untergeordnete Rolle. Man kann sich Gedanken machen darüber, dass religiöse Symbolik – ob die katholische bei den Gralsrittern oder der muslimische Gegenentwurf  in Klingsors Welt – völlig überflüssig ist und gut in Titurels Sarg versenkt wird. Oder man genießt einfach die Musik.

Riesenapplaus am Ende, bei den Hauptsolisten Pankratova, Schager, Groissböck – und vor allem bei Semyon Bychkov, der erst 2018 sein Debüt in Bayreuth gegeben hat und sich bereits unüberhörbar wohl im berühmten Graben des Bayreuther Festspielhauses fühlt, fast schon wie zu Hause.

Parsifal – Bayreuther Festspiele 2019

Dr. Daniel Rilling
operapoint
28.08.2019

 

Fazit

Während die musikalische Seite viele Farben, Nuancen und Spannungsbögen aufweist, hat die Inszenierung zwar ein klares Konzept zur heutigen Zeit. Allerdings wirkt dadurch alles ein wenig intellektuell und kann nicht immer die Tiefe der Wagnerschen Dramatik ausschöpfen. Wer z.B. einen rot leuchtenden Gral als Apotheose am Ende erwartet, hofft vergebens. So pendelt die Szene immer zwischen ausdrucksstarken Einfällen, die Wagners Kunstreligion nahe stehen, und der Verarbeitung tagespolitischer Symbolik. Das Werk wurde mit einem tosenden Schlußapplaus würdig verabschiedet – bis in naher Zukunft ein neuer Parsifal auf den Hügel zurückkehrt, wird man noch ein wenig Geduld haben müssen.

Vorbemerkung

Wagners Parsifal wurde 1882 im Bayreuther Festspielhaus uraufgeführt. Als einziges Werk ist Parsifal eigens für das Festspielhaus komponiert worden, was vor allem die Instrumentierung in Rücksicht auf die Akustik des Festspielhauses betrifft Dies ist einer der Gründe, weshalb Wagner den Parsifal seinerzeit nicht außerhalb von Bayreuth aufgeführt wissen wollte. Nach der eher durchwachsenen Aufführung des Ring des Nibelungen 1876 war die Uraufführung des Parsifal in musikalischer Hinsicht und in seiner Inszenierung ein voller Erfolg. Die aktuelle Inszenierung von Uwe Eric Laufenberg stammt aus dem Jahr 2016 und war ursprünglich für den Regisseur Jonathan Meese vorgesehen. Seit 2018 hat Semyon Bychkov die musikalische Leitung.

Kurzeinhalt

König Amfortas leidet an einer Wunde, die ihm der abtrünnige Ritter Klingsor mit dem heiligen Speer als Strafe dafür zugefügt hat, daß er sich von Kundry hat verführen lassen. Kundry irrt seit Generationen durch die Welt auf der Suche nach Erlösung, da sie vor langer Zeit Christus am Kreuz verlacht hat. Als Amfortas ein Bad nimmt, taucht der Waldläufer Parsifal auf und erschießt einen der heiligen Schwäne. Der Ritter Gurnemanz unterzieht ihn einer kurzen Prüfung und läßt ihn am Abendmahl teilnehmen. Im zweiten Akt erscheint Parsifal auf Klingsors Zauberschloß und wird von Blumenmädchen wie auch von Kundry umgarnt. Er widersteht jedoch der Versuchung. Als Klingsor ihn mit der heiligen Waffe verwunden will, bringt er diese in seinen Besitz. Im dritten Akt bringt Parsifal den Speer zurück zu den Gralsrittern und übernimmt selbst das Amt des Amfortas.

Aufführung

Die Bühne präsentiert im ersten Akt eine bombardierte Kreuzkuppelkirche im Zweistromland. Es herrscht Krieg während die Ritterschaft versucht, ihren Glaubensalltag so gut wie möglich aufrecht zu erhalten. Sein Bad nimmt Amfortas in einem großen Taufbecken, das im weiteren als Altar dient. Bei Parsifals Auftritt erscheint ein kleiner Junge, der tot zu Boden fällt als der Held den Schwan erschießt („Wer schoß den Schwan? “) Die Abendmahlszene am Ende des ersten Aktes verdeutlicht mit viel Blut das Leiden des Amfortas auf schockierende Weise. Eindrucksvoll gelungen ist der Kniefall der Knappen auf die Worte „Durch Mitleid wissend“. Der zweite Akt führt in ein schön gekacheltes orientalisches Bad, wo leicht bekleidete Mädchen den jungen Parsifal umgarnen „Komm holder Knabe“). Die Kostüme sind in schrillen bunten Farben gehalten – ein lebendiger Kontrast zu den Abendmahlszenen der anderen Akte. Kundrys Verführung Parsifals ist ebenfalls sehr körperlich umgesetzt. Als Parsifal den Speer des Klingsor fängt, zerbricht er diesen und fügt die Teile zu einem Kreuz zusammen. Die Zwischenspiele, die als Eintritt in die Gralsburg fungieren, werden bei geschlossenem Vorhang von Videoprojektionen begleitet. Im ersten Akt sieht man eine Art Vogelflug aus der Kirche über den Irak, dann erscheint die Erde, am Schluss öffnet sich der Blick auf das Weltall. Im dritten Akt erscheinen die Gesichter von Richard, Cosima und Winifred – zu Beginn blinzelnd, dann als Totenmaske im Wasserstrudel versinkend. Am Ende der Oper ist die Bühne in hell beleuchteten weißen Dampf gehüllt („Erlösung dem Erlöser“), im Saal geht das Licht an, noch bevor der letzte Ton verklungen ist. Der Sarg Titurels wurde umfunktioniert zur Entsorgungsstelle verschiedenster religiöser Symbole.

Sänger und Orchester

Beim Dirigat von Semyon Bychkov erlebt man bereits während der ersten Takte einen äußerst gründlich erarbeiteten Parsifal. Die dynamischen Bögen werden zu einem großen Ein- und Ausatmen, die Klangfarben sind transparent gestaltet und die Sänger haben große artikulatorische Freiheit. Andreas Schager als Parsifal macht dies schon bei seinem ersten Auftritt deutlich: er, der mehr stammelt als spricht, hat sich eindrucksvoll in seine Rolle hineinversetzt. Er ringt nach Worten, während er zugleich sein volles tenorales Timbre entfaltet. Günther Groissböck als Gurnemanz ist ein sonorer raumfüllender Baß, der auch durch seine deutlich verständliche Artikulation überzeugt. Elena Pankratova füllt das breite Spektrum der Kundry-Partie aus, indem sowohl ihre stöhnenden Laute und ihr Lachen als auch die epischen Passagen, in denen sie Parsifals früheres Leben erzählt, ausdrucksstark gestaltet sind. Auch Ryan McKinny überrascht mit einer durchsichtigen Artikulation der deutschen Sprache, die Schärfen seines Timbres vermitteln die schmerzhafte Situation sehr deutlich. Auch Titurel, eine weitere dunkle Männerstimme, ist hingebungsvoll mit dem Ausdruck des dem Tode nahestehenden von Wilhelm Schwinghammer interpretiert. Ebenso ist Derek Welton für die Partie des Klingsor eine sehr gute Wahl. Man einen sonoren Bass, der mit dem Hauch des Dämonischen seiner Unterhaltung mit Kundry die passende Färbung gibt. Beeindruckend sind darüber hinaus die Durchsichtigkeit in der Vielstimmigkeit der Chorszenen – z.B. die Ritter in den Abendmahlszenen oder auch die Frauenstimmen der Blumenmädchen. Hier tritt Wagners Kontrapunktik hörbar in den Vordergrund. Atmosphärisch entwickeln sich dann die finalen Takte zum Klang gewordenes Gralserlebnis.

Dieser Wagner atmet: Weltklasse-„Parsifal“ begeistert 2000 Menschen im Bayreuther Festspielhaus

von Andreas Schmidt
Klassik Begeistert – Der Klassik Blog
31. Juli 2019

Oh, what a night: „Parsifal“, Richards Wagners Lebensabschiedsoper, sein Meisterwerk: am 26. Juli 1882 uraufgeführt bei den zweiten Bayreuther Festspielen, knapp sieben Monate, bevor das Jahrtausend-Genie in Venedig starb.

Dieser erste Bayreuther „Parsifal“ bot die bislang beeindruckendste Solisten-, Orchester- und Chorleistung der Bayreuther Festspiele. Alle Akteure waren mindestens sehr gut, viele besser: so der Bass Günther Groissböck als Gurnemanz mit einer Weltklasseleistung, er bekam den stärksten Applaus. Weltklasse auch die Sopranistin Elena Pankratova als Kundry, der Tenor Andreas Schager als Parsifal, der Bariton Derek Welton als Klingsor und die Sopranistin Katharina Konradi – merken Sie sich bitte diesen Namen! – als Zaubermädchen.

Alle anderen Zaubermädchen, Knappen und Gralsritter waren sehr gut – wie auch Ryan McKinny als Amfortas und Wilhelm Schwinghammer als Titurel.

Kann ein Sänger bei einer Fortissimo-Stelle zu laut singen? Er kann: Das demonstrierte der niederösterreichische Heldentenor Andreas Schager als Parsifal. Bereits sein „Amfortas-Ruf“ im zweiten Aufzug geriet ein wenig zu laut – und auch danach gab er für den Geschmack vieler Zuschauer immer wieder ein wenig zu viel Gas. Das schmälerte seine Weltklasseleistung an diesem Abend nicht. Schager sang genauso hervorragend wie Klaus Florian Vogt vor drei Jahren. Seine Strahlkraft und sein Volumen vom Anfang bis zum Ende waren beeindruckend. Lesen Sie bitte auch ein ausführliches Interview mit Andreas Schager auf klassik-begeistert.de

 

 

 

 

© Bayreuther Festspiele /Enrico Nawrath

Die viel kritisierte Inszenierung ist zeitgemäß; sie lenkt nicht von der gigantischen, in weiten Teilen ruhigen und getragenen Musik ab, einer Musik, die sprachlos macht. Dem Programmheft vorangestellt ist ein Zitat des Dalai Lama: „Ich denke an manchen Tagen, dass es besser wäre, wenn wir gar keine Religionen mehr hätten.“ Die Gralsritter der „Parsifal“-Geschichte verortet Uwe Eric Laufenberg, Intendant des Hessischen Staatstheaters in Wiesbaden, in einer zerschossenen katholischen Kirche im Nahen Osten im heutigen Irak, der Wiege des Christentums. Flüchtlinge scheinen auf Feldbetten Kirchenasyl gefunden zu haben.

Ja, die Aufführung ist religionskritisch, aber auf gar keinen Fall „islamkritisch“, wie 2016 nach der Erstinszenierung zu hören war. Im zweiten Aufzug erscheint Parsifal in einem Kampfanzug mit vollgepackten Munitionstaschen in Klingsors Zauberschloss, das sich als Harem entpuppt. Parsifal ist auf Abwege geraten auf einen Kreuzzug – erst im dritten Aufzug wird er in der Begegnung mit Gurnemanz und Kundry geläutert. Nach Jahren kehrt er als Kämpfer in Ninja-Montur mit dem heiligen Speer zurück, der zum Kreuz geformt ist.

 

 

 

 

Foto: © Bayreuther Festspiele /Enrico Nawrath

 

 

Durch die drei Aufzüge führt Semyon Bychkov mit Herz und Seele. Und sehr klar. Düster wabernde Klangnebel? Fehlanzeige. Die musikalischen Bögen gliedern sich, die Melodien sprechen: Dieser Wagner atmet! Für Semyon Bychkov sind es die zweiten Bayreuther Festspiele als Dirigent. Er legt sehr viel Wert auf Transparenz und analytische Klarheit. Ovationen waren dem russischen Dirigenten, 1952 in Leningrad geboren, und dem Festspielorchester ebenso sicher wie dem unfassbar guten und präsenten Chor und allen Solisten. Lieber Chorleiter Eberhard Friedrich: Sie sind ein Genie. Was Sie aus diesen tollen Sängern herausholen, ist eine Wucht. Schade, dass Sie in Ihrer Stammoper in Hamburg nicht auf das gleiche Stimmenmaterial und die gleiche Begeisterung zurückgreifen können.

Für klassik-begeistert.de war es musikalisch gesehen der beste „Parsifal“ seit Jahren – das Dirigat Bychkovs war überragend; der Meister arbeitete viele Feinheiten wunderbar heraus, nur das Glockenspiel im dritten Aufzug geriet etwas zu leise.

 

 

 

 

 

Foto: © Bayreuther Festspiele /Enrico Nawrath

 

Den größten Applaus bekam an diesem Abend der Bass Günther Groissböck als Gurnemanz. Er war, was Stimmintensität und Genauigkeit anbelangt, der herausragende Sänger und bot eine makellose Aufführung. Note 1 plus, würde man in der Schule sagen. Sehr mächtig, wenn es sein musste, sehr dunkel, angenehm sanft an vielen Stellen und mit einer klaren, deutschen Aussprache gesegnet. Kaum jemand im Weltklasseformat hat eine so klare Artikulation wie der Niederösterreicher Groissböck.

Dass Wagners Abschieds- und Meisterwerk zu einem so außergewöhnlichen Erfolg wurde, lag an diesem Abend auch am Hauptdarsteller Parsifal selbst: Andreas Schager, einer der besten Heldentenöre der Welt. Schon im ersten Aufzug, Parsifal erlegt einen heiligen Schwan, kam seine stimmliche Überlegenheit zur Geltung, ab dem zweiten Aufzug zeigte der Ausnahmesänger, dass er akustische Höchstgenüsse zu erzeugen vermag.

Elena Pankratova, die international erfahrene Sopranistin mit exorbitanten Mezzo-Qualitäten, brillierte als Kundry: ein Oktavwunder mit ihrer tiefen Altlage bis zur höchsten, glänzenden Sopranlage; an der deutschen Aussprache könnte die Russin noch etwas arbeiten. Trotzdem: Eine 1-A-Sahne-Glanzleistung mit Gänsehautfaktor.

Amfortas (der US-Amerikaner Ryan McKinny), eine explizite Christusgestalt mit Dornenkrone und Wundmalen, überzeugte durch seine heldenbaritonale Stimme voll wunderbaren satten Schmelzes und sorgte mit seinem durchtrainierten Bodybuilding-Körper für Aufsehen.

 

 

 

 

 

 

Foto: © Bayreuther Festspiele /Enrico Nawrath

 

Der australische Bassbariton Derek Welton, Ensemblemitglied der Deutschen Oper Berlin, sang als Klingsor Weltklasse in allen Registern und hat das Zeug zu einem ganz großen Vertreter seiner Zunft. Seine deutsche Aussprache ist beeindruckend gut, kein Wunder: Welton hat auch einen Bachelor in Deutsch an der University of Melbourne absolviert.

Was unterm Strich bleibt, war tosender Beifall für alle Beteiligten. Ein wunderbarer „Parsifal“!

Wunderbar war auch die heilige Ruhe unter den Zuschauern im Festspielhaus. Zum Glück kommen – vor allem nach Bayreuth – immer noch überwiegend Zuschauer, die ein Jahrtausendwerk wie den „Parsifal“ in innigster Verbundenheit und Dankbarkeit mit absoluter Ruhe und Konzentration verfolgen.