Hoffmanns Erzählungen

 

Jacques Offenbach | E. T. A. Hoffmanns​
Libretto: Jules Barbier und Michel Carré​

Musikalische Leitung: Evan Christ
Regie: Martin Schüler
Bühne: Hans-Holger Schmidt
Kostüme: Jessica Karge
Choreinstudierung: Christian Möbius
Dramaturgie: Katrin Böhnisch
Regieassistenz und choreographische Mitarbeit: AnnaLisa Canton

PREMIERE, 27. Oktober 2012
Wiederaufnahme: 17.9.2013 / 18.2.2015
Staatstheater Cottbus

Dichter Hoffmann: Jens Klaus Wilde
Muse: Marlene Lichtenberg
Stadtrat Lindorf, Coppelius,
Mirakel, Dapertutto: Andreas Jäpel
Diener Andreas, Cochenille,
Franz, Pitichinaccio: Hardy Brachmann
Primadonna Stella: Nora Lentner
Olympia: Debra Stanley
Antonia: Cornelia Zink
Giulietta: Gesine Forberger
Mutter Antonias: Carola Fischer
Lutter, Crespel: Jörn E. Werner, Ingo Witzke
Spalanzani: Matthias Bleidorn
Herman, Schlemihl: Heiko Walter
Nathanael: Dirk Kleinke
Geister, Studenten, Gäste,
Matrosen, Publikum: Damen und Herren des Opernchores
Giuliettas Gefolge: Damen des Ballettensembles
Kellner und Erscheinungen: Herren Statisterie
Philharmonisches Orchester Cottbus

© Foto: Marlies Kross
© Video: Theater-tv

Hoffmanns Erzählungen

Phantastische Oper in fünf Akten von Jacques Offenbach
Libretto von Jules Barbier nach dem gleichnamigen Schauspiel von Jules Barbier und Michel Carré
Quellenkritische Neuausgabe von Fritz Oeser Deutsche Textfassung von Gerhard Schwalbe

Noch immer liebt der Dichter Hoffmann die Sängerin Stella, die ihn längst verlassen hat. Während ihres Gastspiels als Donna Anna in Berlin wartet er im Weinkeller „Lutter und Wegner“ auf sie. Doch er hat Angst vor dieser Begegnung. Stella wird ihn lieben, und er wird sie verlieren, so wie er sie immer verloren hat. Aus diesem Konflikt heraus beginnt Hoffmann zu erzählen. Dabei enthüllt sich Stella in seiner Phantasie als perfekter, doch puppenhafter Automat, als besessene Künstlerin, die dem Gesang nicht entsagen kann, und als venezianische Hure, an die Hoffmann nicht nur sein Herz, sondern auch sein Spiegelbild verliert und für die er zum Mörder wird. Olympia, Antonia und Giulietta – drei Frauen, drei Seiten seiner großen Liebe Stella. Überall, wo er auf sie trifft, findet er sie in den Zwängen einer ihm feindlich gesinnten Übermacht. Wenn er sie berührt, erleidet er eine Niederlage.

Der Komponist Offenbach hebt die Grenzen zwischen Realität und Fiktion auf. Groteske und unheimliche Elemente aus den Novellen E.T.A. Hoffmanns mischen sich mit der Biographie des Dichters zu einer bizarren Traumwelt. Merkwürdig wechseln die Figuren ihre Identitäten, verfolgen dämonische Gegenspieler unerbittlich alle Liebesversuche und zerrinnen gerade entstandene Lebensmöglichkeiten unversehens zu nichts. HOFFMANNS ERZÄH­LUNGEN ist eine Oper über den Künstler, der vor dem Leben in die Kunst flieht. Hoffmann trinkt sich während des Gastspiels Stellas in den Rausch – als die Sängerin ihn nach der Vorstellung aufsucht, erkennt er sie nicht mehr.

Rezensionen:

In einem kleinen Theater wie Cottbus, und in einem Mehrspartenhaus zumal, kann man sich in der Regel Regisseure mit tatsächlich oder vermeintlich großen Namen meist nicht leisten, und so liegt die Regie immer wieder in den Händen des Intendanten. Wie schon beim derzeit vor der „Götterdämmerung“ stehenden „Ring des Nibelungen“ von Richard Wagner, Premiere am 30. März 2013 rechtzeitig zum großen Wagner-Jahr, inszenierte Martin Schüler, seit der Saison 2003/04 Intendant und Vorstandsvorsitzender der Brandenburgischen Kulturstiftung Cottbus nach fast 20 Jahren nun wieder „Hoffmanns Erzählungen“ von Jacques Offenbach in dem wohl zu den schönsten Theatern Deutschlands zählenden freistehenden Haus in der Lausitz. Dramaturgin Katrin Böhnisch macht im Programmheft einige interessante und schlüssige Ausführungen zum Regiekonzept. Das Regieteam stellt den Künstler Hoffmann, der vor dem Leben in die Kunst flieht, in den Mittelpunkt und verarbeitet dabei geschickt und überzeugend dessen unrealistisches Frauenbild von seiner Geliebten Stella, die er gewissermaßen in ihre einzelnen Persönlichkeitsmerkmale zerlegt: In Olympia, die makellose Puppe, passiv und ohne Individualität, nach der Auffassung des 19. Jahrhunderts scheinbar die Frau als Geschöpf des Mannes und als sein Spiel- und Werkzeug zugleich; dann die Sängerin Antonia, die sich trotz aller Bemühungen Hoffmanns, sie unter Verzicht auf das gemeinsame, aber Tod bringende Singen zu heiraten, zwischen den Ansprüchen und Verführungen ihres Vaters, Hoffmanns und Mirakels zerreißt und letztlich durch den Gesang stirbt; sowie die Kurtisane Giuletta, Hoffmans femme fatale, die ihn mit ihren erotischen Reizen vollends ins Verderben stürzt, da er ihr – im Bühnenbild von Hans-Holger Schmidt sehr gut dargestellt – sein Spiegelbild überlässt und damit seine eigene Identität verliert. Je tiefer Hoffmann in das fantasierende Erzählen verfällt, umso mehr verschwimmen für ihn die Grenzen zwischen Illusion und Wirklichkeit. So kann er am Ende nicht mehr zu Stella finden. Das alles war in Cottbus gut zu sehen.

Fast zu intensive Szenen eines Saufboldes bilden den Schluss der Aufführung, an der er offenbar auch von der Muse nicht mehr zu retten ist, die in der vom Staatstheater gewählten Fassung von Fritz Oeser eine profiliertere Rolle als sonst spielt. Sie beginnt den Abend mit einem langen Monolog, in dem sie ihre Zuneigung zu Hoffmann schildert, und beobachtet ihn und seine Täuschungen und Verfall – immer wieder eingreifend, aber ohne ihn aufhalten zu können – verkleidet als Corps-Student. Wenn sie sich dem Künstler dann mit ihrer Zuneigung einmal offenbart, lässt Marlene Lichtenberg, die dieses Rollenprofil mit großer darstellerischer Intensität umsetzt, ihre langen schwarzen Haare aus der Studentenmütze fallen… Sie sorgt gewissermaßen für eine dramaturgische Klammer um das Ganze, ist alle fünf Akte stets präsent mit ausdrucksvoller Mimik, wachem Auge und, wenn sie denn mal singen muss, mit ihrem warmen, in der Tiefe dunkel timbrierten, aber auch in der Höhe zu ausdrucksvollen Spitzentönen fähigen Mezzosopran. Wenn man Lichtenbergs „Siegfried“-Erda in Cottbus erlebt hat, kann man über ihre darstellerische Wandlungsfähigkeit nur staunen. Auch sie kann am Schluss Hoffmann nicht für sich gewinnen, wird gewissermaßen als Göttin der Kunst stilistisch überhöht – Preis für den totalen Verzicht.

Bühnenbildner Schmidt entwarf für diese sehr lebendige und mit einer exzellenten und intensiven Personenregie aufwartende Produktion eine surreale Gründerzeit-Kulisse, die neben den realistischen und deftigen Szenen eines Berliner Weinkellers in schwarzem klassizistischem Ambiente die seelischen Abgründe Hoffmanns nachvollziehbar abbildet. Im Hintergrund schwebt ein Opernhaus als Symbol der Kunst. Immer wieder wird auch romantischer Surrealismus deutlich – so besonders mit den Gondeln im Nebel des Canale Grande von Venedig. Jessica Karge, die in der Intendanz von Claus Peymann am Wiener Burgtheater assistierte und auch schon als Kostümbildnerin am Zürcher Schauspielhaus, am Deutschen Theater Berlin, am Akademietheater Wien, am Gorki-Theater Berlin und zuletzt unter der Intendanz E. Laufenberg auch am Hans Otto Theater in Potsdam beschäftigt war, schuf als Gast in Cottbus fantasievolle Kostüme, angelehnt an den Stil Jules Vernes. Sie betonten immer wieder das Fantastische und Surrealistische und passten somit bestens in den Stil der Bühnenbilder sowie der Hoffmann-Dramaturgie. Seine Saufkumpane traten als Corps-Stundenten auf. Die Choreinstudierung von Christian Möbius war sehr gut, die Stimmen waren kraftvoll und auch die Choreografie bestens auf das Geschehen abgestimmt. Die Lichtregie von Mirko Möller-Pietralczyk sorgte für ebenso subtile wie expressive Stimmungen, immer eng der Handlung folgend.

Der Haustenor Jens Klaus Wilde wagte sich in Cottbus, das in gutem altem Stil noch Sängerentwicklungen fördert, auf Empfehlung des Intendanten an den Hoffmann heran und zeigte sich in einem Interview mit der „Lausitzer Rundschau“ durchaus bewusst, dass man sich diese schwierige Rolle gut einteilen muss. Das ist ihm auch weitgehend gelungen. Wilde spielt die Rolle mit großer Empathie und singt sie in der Mittellage sicher und klangvoll, allein die doch immer wieder anspruchsvollen Höhen, nicht nur bei „Klein Zack“, zeigen stimmliche Höhen-Grenzen auf. Andreas Jäpel ist nach seinem guten „Siegfried“-Alberich ein ebenso engagierter und mit klangschönem bassbaritonalem Timbre singender Coppelius, Mirakel und Dapertutto, der nur bei der Dimanaten-Arie nicht ganz höhensicher singt. Hardy Brachmann füllt die drei Rollen des Dieners Andreas, Cochenille, Franz und Pitininaccio mit unglaublichem kömödiantischem Talent aus und besticht mit teilweise charaktertenoralen Klängen sowie hervorragender Diktion. Debra Stanley ist eine klangreine, mit ihrem hellen Sopran kokett agierende Olympia und spielt die Rolle mechanisch bezaubernd. Cornelia Zink wartet als Antonia mit einem warmen und lyrisch timbrierten Sopran auf – besonders einnehmend ihre lange Auftrittsarie und die Zerissenheit ihres Spiels. Gesine Forberger setzt sich von ihren beiden Vorgängerinnen hingegen durch ihren prägnanten Sopran und eine eindeutig auf erotische Qualitäten setzende Darstellung ab. Odilia Vandercruysse agiert intensiver als in anderen Fassungen als Primadonna Stella. Lutter und Crespel werden von Ingo Witzke verkörpert, der zwar großes Bassmaterial hat, es aber hier etwas musikalischer einsetzen müsste. Carola Fischer singt die Mutter Antonias ebenso gut wie Matthias Bleidorn den Spalanzani und Heiko Walter den Herman und Schlemihl. Dirk Klinke ist der Student Nathanael. In Giulettas Gefolge finden sich einige reizvoll aufgemachte Damen des Balletts.

Der Cottbuser GMD Evan Christ dirigiert das Philharmionische Orchester mit viel Verve und beschwingten Tempi und sorgt für einen ständig guten Kontakt zwischen Bühne und Graben, wobei er sehr auf die Sänger und ihre Möglichkeiten achtet. Mit diesem „Hoffmann“ ist Cottbus wieder ein großer Wurf gelungen. Man kann nur staunen, was dieses doch realiv kleine Theater mit dem eigenen Ensemble so kompetent auf die Beine stellt.

Klaus Billand
08.12.2012
Onlinemerker

http://www.myway.de/hoffmann/1213-cottbus.html

 

Hoffmanns Erzählungen von Jacques Offenbach in einer packenden Neuinszenierung am Staatstheater Cottbus

Geniales Meisterwerk – begeistert gefeiert

Kaum einer der nicht wenigen Komponisten des heiteren Musiktheaters aus dem 19. Jahrhundert hat während der letzten Jahrzehnte in Cottbus einen so umfangreichen, dankbaren, ja begeisterten Widerhall gefunden wie Jacques Offenbach. Für die ersten zwölf Jahre seines Bestehens verzeichnet die 2008 zur Hundertjahrfeier des Theaters am Schillerplatz erschienene Festschrift seltsamerweise noch keine Inszenierung der mehr als hundert zu einem guten Teil längst weltweit umjubelten Werke, die der 1881 viel zu früh, im Alter von erst 62 Jahren, nach langer, schwerer Krankheit Heimgegangene für das musikalische Theater geschaffen hat. Erst im April 1920 erlebte im Rahmen von Opernfestspielen sein unvollendet hinterlassenes letztes und wohl auch genialstes Werk, „Hoffmanns Erzählungen“, seine erste Premiere. In der Spielzeit 1931/32 folgte eine zweite Inszenierung. Vorausgegangen war zwei Jahre zuvor eins seiner weiteren Meisterwerke, „Orpheus in der Unterwelt“. Unter dem NS-Regime, von 1933 bis zum Ende des zweiten Weltkriegs im Mai 1945, war Offenbach, durch seine jüdische Herkunft bedingt, im gesamten Deutschland zum Schweigen verurteilt. In Cottbus verging ein weiteres Jahr, bis „Hoffmanns Erzählungen“ wieder in den Spielplan zurückkehren konnten. Danach kam es endlich zu dem entscheidenden Durchbruch. Seit der Spielzeit 1951/52 verzeichnet die bereits erwähnte, von Birgit Mache herausgegebene Jahrhundert-Festschrift „Im Rampenlicht“ jeweils drei weitere „Hoffmann“- und „Orpheus“-Neuinszenierungen sowie nicht weniger als zwölf bisher noch nicht im Theater am Schillerplatz präsentierte Offenbach-Werke, unter ihnen „Madame Favart“, „Pariser Parfüm“, „Die Prinzessin von Trapezunt“, „Salon Pitzelberger“, „Die lockere Odette“, „Ritter Blaubart“, „La Périchole“, „Die Verlobung bei der Laterne“ und – als ganz besondere Entdeckung – die 1864 für Wien komponierte Große romantische Oper „Die Rheinnixen“, aus der 16 Jahre später die Barcarole als Einleitungsmusik für den 4. Akt von „Hoffmanns Erzählungen“ übernommen wurde.

 

Zündender Elan und bewunderungswürdige Einfühlungsgabe

Durch diese beispiellos intensive Offenbach-Pflege der vergangenen sechs Jahrzehnte wurden am Cottbuser Staatstheater alle notwendigen Voraussetzungen geschaffen für einen glänzenden Erfolg der jüngsten, wenn wir recht informiert sind, siebenten Neuinszenierung von „Hoffmanns Erzählungen“. Sie erhielt ihr ganz besonderes Flair durch den zündenden Elan und die bewunderungswürdige Einfühlungsgabe, die von GMD Evan Christ am Dirigentenpult ausgingen, zeichnete sich aber auch durch eine hoch achtbare Ensemble- und Chorleistung aus, das Tänzerteam nicht zu vergessen. Selbst die anspruchsvollsten Partien waren sängerisch nicht weniger als darstellerisch überzeugend besetzt. Die wohlerwogene Inszenierung des Intendanten Martin Schüler verzichtete wohl ganz bewusst darauf, in die letzten Abgründe des Werkes vorzudringen. Dennoch ließ sie es an Phantasie und hintergründigem Humor nicht fehlen. Sie zeigte vor allem – nicht weniger als der Dirigent – ein untrügliches Gespür für die überwältigenden musikalischen Schönheiten des Werkes. Schüler war auf der rechten Spur, dass er nicht auf eine der umstrittenen früheren Bearbeitungen und Ergänzungen des unvollendet hinterlassenen opus summum zurückgriff, sondern sich von der wohl verlässlichsten kritischen Neuedition Fritz Oesers aus dem Jahre 1977 leiten ließ.

 

Hohe Ansprüche erfüllt

Die Ansprüche an die Sänger und Darsteller sind auch – und gerade ! – in dieser Version sehr hoch, aber sie werden fast ausnahmslos packend bewältigt. Das betrifft nicht nur die tragenden Partien. Die vier Dienergestalten sind mit Hardy Brachmann geradezu hinreißend zu erleben. Nicht weniger begeistern Carola Fischer in der Erscheinung der Mutter Antonias und Matthias Bleidorn als Spalanzani. Auch Ingo Witzke verdient es, als Gastwirt Lutter und Crespel gewürdigt zu werden. Die vier Frauengestalten im Brennpunkt werden nicht, wie häufig in anderen Inszenierungen, von der gleichen Sängerin dargeboten. Sie erhalten durch Debra Stanley als Olympia, Cornelia Zink als Antonia, Gesine Forberger als Giulietta und Nora Lentner als Stella eine sehr facettenreiche Prägung und erhöhen damit vielleicht sogar noch den Reiz der Aufführung. Jens Klaus Wilde gewann in der zentralen Partie des Dichters Hoffmann während der Premiere zunehmend an Ausstrahlungskraft, die sein Gegenspieler Andreas Jäpel als Lindorf, Coppelius, Mirakel und Dapertutto vom ersten Augenblick an fesselnd spüren ließ. Zu einem Highlight der Aufführung entwickelte sich auch die junge Mezzosopranistin Marlene Lichtenberg als Muse und Hoffmanns Gefährte Niklas.

Die am Abend der Premiere begeistert gefeierte Neuinszenierung verspricht auch in den kommenden Monaten einer der Höhepunkte unter den Opernaufführungen des Cottbuser Staatstheaters zu bleiben. Die nächsten Aufführungen sind angekündigt für den 18. November und 16. Dezember, jeweils um 16 Uhr, für den 2. Weihnachtsfeiertag um 19.30 Uhr sowie für 2013 am 18.Januar um 19.30 Uhr, am 24.März um 16 Uhr und jeweils um 19.30 Uhr am 11. April und 7. Mai.

Wolfgang Hanke