Wagner – Der Ring der Nibelungen

 

Rezensionen

 

Pressespiegel

»wagner – der ring des nibelungen«


Premiere 29.1.2022

 

Kulturbüro

Tina Fibiger, 28.1.2022

Theatermagazin Szenenwechsel

Premiere »wagner – der ring des nibelungen (a piece like fresh chopped eschenwood) recomposed by thomas köck«
Narrativ des Kapitalismus
Gespräch mit DT-Intendanten und Regisseurs der Inszenierung Erich Sidler
Was richten Mythen immer noch an und wie sehr prägen sie auch das kapitalistische Weltbild? Für diese Frage und auch die nach grenzenloser Gier um Macht und Kapital hat sich der österreichische Dramatiker Thomas Köck mit Der Ring des Nibelungen Richard Wagners monumentales Opernwerk vorgenommen.
Feridun C. Öztoprak, Gabriel von Berlepsch, Florian Eppinger, Angelika Fornell | © Photo: Georges Pauly
Für DT-Intendant Erich Sidler lässt sich der Nibelungenmythos wunderbar als Narrativ des Kapitalismus erzählen. Er inszeniert Thomas Köcks Sprachoper »wagner – der ring des nibelungen (a piece like fresh chopped eschenwood)« und berichtet im Gespräch mit Tina Fibiger über die akuten und aktuellen Fragen, die sich die Figuren über ihre Rolle und ihre Funktion in diesem mythologischen Panorama stellen.
Audio zu dem Beitrag: https://www.kulturbuero-goettingen.de/artikel/szenenwechsel/narrativ-des-kapitalismus

Kulturbüro, Tina Fibiger, 28.1.2022

Eine Zelle mit offener Tür

© Georges Pauly

Dem Deutschen Theater Göttingen gelingt mit der Inszenierung von Thomas Köcks »wagner – der ring des nibelungen« eine funkenstiebende Zertrümmerung des Mythos: sprachlich überwältigend, szenisch überzeugend, mit Mut zur Aporie, siegfriedhaft-anarchisch die Vergessenheits-, Liebes- und Todestränke des ›alten Zauberers‹ umstoßend.

Wir leben in postromantischen Zeiten. Wie ein ihnen gemäßer künstlerischer Umgang mit den Werken und Ideen einer Epoche aussehen kann, in die es kein Zurück mehr gibt, zeigt das Deutsche Theater mit Erich Sidlers Inszenierung von Thomas Köcks »wagner – der ring des nibelungen«, die am 29. Januar Premiere feierte: Es ist nicht mehr das Drama des Bewusstseins einer verlorenen Naivität. Sondern des Bewusstseins, dass es diese Naivität niemals gegeben hat.

Der tragische Mythos der Schuld

Richard Wagners größtem Werk, dem Opernzyklus »Der Ring des Nibelungen«, liegt der Mythos einer schuldhaften Welt zugrunde. Der Strudel der tragischen Verstrickung, bei Köck der »loop«, beginnt, als Alberich – von Adorno in seinem »Versuch über Wagner« vor langer Zeit schon als antisemitische Karikatur identifiziert – den Rheintöchtern das Rheingold raubt. Die ganze Welt muss den sündhaften Raub an der Natur büßen, alles Einzelne wieder zu einer unbewussten, schmerzlosen Einheit werden. Am Ende geht eine dekadente und korrupte Zivilisation unter, die Rheintöchter siegen, der harmonische Urzustand der Natur ist wiederhergestellt. Der Kreis schließt sich, für einen neuen »Ring« ist wieder Platz.

Es wäre so einfach

Thomas Köck entkleidet in seiner Bearbeitung Wagner dessen, was seine unvergleichliche Genialität ausmacht – der verzaubernden und verführenden Musik – um Ideologien zutage treten zu lassen: Er reduziert Wagner auf das Libretto und die antisemitischen theoretischen Schriften. Die Handlung des »Rings«, die in stark verkürzter und bearbeiteter Form dem Stück zugrunde liegt, nutzt er darüber hinaus als Vehikel einer Fundamentalkritik am Konzept ›Mythos‹ überhaupt.

Mit Köcks Text als Grundlage atmet Sidlers Inszenierung den utopischen Geist der Aufklärung und will die Figuren vom archaischen Schicksalsglauben befreien. Wäre es nicht schön, fragen Köck und Sidler, die Figuren fingen an, sich selbst zu erkennen und aus der Fiktion herauszutreten, in die der Autor sie gezwungen hat? Der Mythos soll als patriarchale Ideologie und verschwörungstheoretische Welterklärung, die menschengemachte Strukturen und gesellschaftliche Rollen als naturgegeben festigt, entlarvt und abgeschafft werden – das ist der aktivistische Impetus. Die Figuren haben mittlerweile ihren Adorno gelesen. Sie erkennen die mythische Welt als Bühne, betreten eine höhere Ebene der Reflexion und gewinnen an Selbstbewusstsein.

Am klarsten gelingt das bei Alberich. Er wird zur Karikatur der Karikatur: Der von Wagner geschriebenen Rolle folgt er so konsequent, dass er sie dadurch ins Lächerliche zieht. Aus der antisemitischen Karikatur wird eine Karikatur des Antisemitismus. Er kreischt und keift, hopst und hüpft in so übertriebener Weise, dass der Mythos seine Macht verliert (wohl auch, weil das Aphrodisiakum der Musik fehlt). Dann fällt er aus der Rolle und legt die stereotype Verkleidung einfach wieder ab.

Die Rheintöchter erkennen den Mythos der unberührten Natur als romantische Projektion. Gelangweilt skandieren die Versace tragenden (die Kostüme sind von Jessica Karge) Walküren ihr »Hojotoho«. Brünnhilde erteilt dem romantischen Liebesideal und seinen leer gewordenen Phrasen eine schroffe Absage, indem sie Siegfried abweist, der die Müde geweckt hat und mit seinen Avancen belästigt. Der junge Siegfried – im traditionellen Bärenfell, das einen grotesken Kontrast zum eigentlichen Geschehen bietet – ist ein traumatisiertes Kind, das wahnsinnig gemacht durch eine konservative, kapitalistische Bundesrepublik und ihre kafkaeske Bürokratie – mit all den alten Verträgen und Dokumenten – Amok läuft.

Großes Theater

Die schauspielerischen Leistungen sind durchweg großartig. Volker Muthmann als Alberich wechselt irrwitzig-rasant die Stimmlagen und spielt virtuos mit den Rollen und Verkleidungen. Es glänzen Gabriel von Berlepsch als Wotan mit seinem selbstgefälligen Selbstmitleid, seiner heimlichen Schwäche und Angst, Rebecca Klingenberg als Brünnhilde mit der energischen Wut der Ideologiekritikerin und Angelika Fornell als Erda mit ihrer lächelnden Überlegenheit. Paul Trempnau verleiht dem jungen Siegfried, verstört und wütend, eine tiefe Traurigkeit und Paul Wenning verkörpert als alter Siegfried, der seinen Rollstuhl für ein Pferd hält, die Sehnsucht und Müdigkeit des »blassen décadent« (Friedrich Nietzsche).

Jörg Kiefels Bühnenbild ist der ideale Ausdruck von Köcks Absichten: Die Drehbühne wird hier zur Metapher für den »loop«, der die darauf Stehenden der eigenmächtigen Bewegung beraubt. Statt »prangender Pracht« abstrahierend und irritierend desillusionierender Minimalismus: ein großer Spiegel, der das Publikum sich selbst erkennen lassen soll, statt es in mythischer Besinnungslosigkeit verharren zu lassen, manchmal flimmernd wie eine Waberlohe. Dann die schmucklosen Wände einer entzauberten Welt, der man nicht mehr entfliehen kann, darauf manchmal Projektionen, zum Beispiel Fritz Langs vergilbter Siegfried.

Neue Eindeutigkeiten

Da sich die Kritik des Stücks oft auf die überdeutlichen politischen Äußerungen Wagners stützt, ist es nicht verwunderlich, dass die unendliche Uneindeutigkeit, die eigentlich im »Ring« steckt, nicht zu ihrem Recht kommt. Wagner dient hier mehr als Beispiel für den deutschen Mythos, seine Funktion als Träger nationalistischer und konservativer Ideologien und das Konzept ›Mythos‹ überhaupt. Aber ist der »Ring« an sich schuldig oder bedarf es nicht einiger Gewalt, um ihn für eine Ideologie zu vereinnahmen? Keine Figur darin bietet eigentlich ungetrübtes Identifikationspotenzial, für niemanden lässt sich widerspruchslos Partei ergreifen, höchstens für ein abstraktes und nichtssagendes ›Etwas‹.

Der »Ring« bietet auch keine kohärente und konsistente Erzählung, nach der sich Verschwörungstheoretiker*innen gerne sehnen, sondern weist unzählige dramaturgische Schwächen und Lücken auf. Wagner ist vor allem Komponist, nicht Literat. Der Text des »Rings« ist ambivalent und dunkel wie die Musik. So kann es mit der Logik des Werks argumentierend gelingen, den Autor zu widerlegen.

Die Musik behält das letzte Wort

Das Deutsche Theater Göttingen zeigt als größtes Theater der Stadt ein umfangreiches Repertoire auf drei Bühnen. Bereits seit den 1950er Jahren errang das Deutsche Theater Göttingen unter Leitung des Theaterregisseurs Heinz Hilpert den Ruf einer hervorragenden Bühne. Seit der Spielzeit 2014/15 ist Erich Sidler Intendant des Deutschen Theaters Göttingen. Mehr Infos zum Stück findet ihr hier.

Michael Freis Einsatz von Musik zwischen den Szenen ist ein Höhepunkt der Inszenierung. Es erklingen Versatzstücke aus Wagners Musik, wieder getrennte Teile des Welten-Puzzles: Das Wehe-Motiv und Siegfrieds Hornruf werden gemischt mit elektronischer Tanzmusik, rhythmisch eingängig wie das Riesen-Motiv. Wie bei Wagner, so ist sie auch hier das verbindende und versöhnende, Gut und Böse relativierende Element und erfüllt die Funktion einer im literarischen Drama fehlenden episch-objektiven Erzählstimme, nur ohne Worte. Die Musik zwingt die Figuren zu schweigen und zu tanzen (die Choreographie stammt von Valentí Rocamora i Torà). Durch sie gelangt am deutlichsten »das halb Artikulierte, das Zweifelhafte, das Unverantwortliche, das Indifferente« (Thomas Mann) ins Stück.

Wagners Siegfried durchschreitet das Feuer als Trugbild, bricht im Mythos den Mythos. Köck vollzieht dasselbe auf einer höheren Ebene. Dem Kunstwerk können seine Figuren letztlich aber niemals entkommen. Und der Mensch vielleicht nicht dem Mythos. Das Bewusstsein kommt nicht über sich selbst hinaus. Und das eigene egoistische Begehren reproduziert die alten Strukturen: Nachdem am Ende, nach ewigen Diskussionen, wider bessere Überzeugung, doch noch einmal alle dem Ring hinterhergejagt sind und die Suche nach dem richtigen Leben vorerst aussichtslos geendet ist, bleibt man mit der alten Rat- und Sprachlosigkeit zurück.

Ihr Ausdruck ist die Musik: »tönendes Schweigen« (Wagner). Der mänadische Eros der Musik versammelt – befreiend oder einfangend? – die Figuren auf der ewigen Drehbühne und erlöst sie von ihren Rollen wie in den tiefrauschenden Fluten eines Flusses. Brünnhilde kann wieder schlafen.

Kulturbüro, Tina Fibiger, 3.2.2022

Deutsches Theater
Der Ring des Nibelungen
Berauschender Premierenabend im Deutschen Theater
Ein zerstörerischer Mythos

Tina Fibiger lässt uns eintauchen in ein bewegendes, berauschendes wie auch sprachgewaltiges Premierenerlebnis von »wagner – der ring des nibelungen« (a piece like fresh chopped eschenwood) recomposed by thomas köck im Deutschen Theater Göttingen.

Angelika Fornell, Marco Matthes, Rebecca Klingenberg, Jenny Wichert, Andrea Strube, Anna Paula Muth, Gabriel von Berlepsch, Roman Majewski, Paul Wenning, Foto: Georges Pauly

Auf dem eisernen Vorhang spiegelt sich das stumme Spiel des Drachentöters, wie es Fritz Lang 1927 mit seinen Filmbildern in Szene setzte. Jung Siegfried macht seine Sache gut, als sagenhafter Held mit seinem sagenhaften Schwert und natürlich ganz dem Mythos verpflichtet, wenn auch mit leicht verkniffenen Mundwinkeln. Tradierte Bilder wirken nach, wenn sie sich ungefragt in die Rezeption von Geschichte und Geschichtsbewusstsein einmischen. Und wenn auf der Bühne des Deutschen Theater Göttingen der eiserne Vorgang so langsam wie nur irgend möglich hochgeht, durchdringen die stummen Bilder zunächst noch einmal das Szenario, in dem Thomas Köck an Richard Wagners Opermonument »Der Ring des Nibelungen«, diesen urdeutschen Mythos, mit der Ansage seziert (a piece likefresh chopped eschenwood) recomposed by thomas köck.

Es hat den Anschein, als ob diese Gestalt im Rollstuhl nur noch die Filmfantasie mit dem jungen Weltenbestürmer teilt. Aber auch davon soll sie unter psychiatrischer Aufsicht befreit werden. Wenn sich das Gedächtnis mit sämtlichen Erinnerungen und Altlasten erfolgreich entsorgen lässt, dann vielleicht auch diese Nibelungengesellschaft. Für den Dramatiker ist sie in den zeitgenössischen Köpfen noch hoch virulent, auch für DT-Intendant Erich Sidler, der Köcks dramatische Versuchsanordnung mit seiner Inszenierung auch als Narrativ auf den Kapitalismus versteht. Zur Diskussion und zur Disposition steht das Nibelungenlied mitsamt den Wagnerschen Lesarten über machtgierige Germanengötter und ihr ebenso machtgieriges Fußvolk in sprachgewaltigen Bildern, Kommentaren und akuten Lesarten, die aufstören, verwirren und berauschen wollen und das möglichst zugleich.

Der mythologische Kontext um Götterwahn und Walküren, diebische Zwerge, weise Erdenmütter, gierige Riesen, eifersüchtige Erben und entmündigte Frauen erschließt sich auf der Bühne nicht unmittelbar. Aber das ist zum Verständnis von Köcks Sprechoper nicht entscheidend. Er setzt das mythologische Personal in Wagners Opernzyklus »Das Rheingold«, »Die Walküre«, »Siegfried« und »Götterdämmerung« der Selbstreflexion über ihre Rollen und ihre Funktion einer kapitalgierigen Gesellschaft aus. Den Anfang macht Volker Muthmann in der Rolle des ersten Schatzräubers Alberich mit der Anamnese seiner Figur, in der Richard Wagner seinen Antisemitismus nicht nur subkutan abgelagert hatte. Es sollte schließlich nicht allzu lange dauern, bis dieser so genannte ›zwergenhafte Parasit‹, der sich über das Germanengold hergemacht hatte, für das nationalsozialistische Feindbild instrumentalisiert wurde und jetzt die rechten Netzwerke bei Laune hält, die dazu nicht mal mehr eine der weiterhin gefeierten Wagneropern benötigen. Köck hat eine lange To-do-Liste, die er an der Ringgesellschaft abarbeitet, um mit ihr eine Sammlung von Szenen aus dem Libretto in der Reflexion auch assoziativ zu schreddern. Das können tagesaktuelle Nachrichten über rassistische Übergriffe, Kindesmissbrauch und Lohndumping in der Pflege sein, aber auch Befunde zum globalen Wachstumsdogma, den patriarchalen Machtverhältnissen und dem ökologischen Exitus.

An der Spitze will sich das göttliche Oberhaupt Wotan (Gabriel von Berlepsch) als globaler Konzernchef behaupten, auch wenn eine weitsichtige Göttin Erda (Angelika Fornell) seine Zeit und sein System immer wieder für abgelaufen erklärt. Hagen (Roman Majewski) spekuliert als Chefstratege noch auf Nachfolge-Gewinnchancen. Konsensunfähige Töchter wie Brünnhilde (Rebekka Klingenberg) bekommen die Zwangsjacke zu spüren und für den vererbten Inzest findet sich bei Sieglinde und Siegmund (Gaby Dey und Paul Wenning) auch die passende mörderische Lösung. Die drei Rheintöchter (Anna Paula Muth, Andrea Strube, Jenny Weichert) müssen zunächst zum Schutz des Rheingoldes vor allem posieren. Als Walküren und als Nornen sind sie die störrischen Chronistinnen der Ereignisse, wenn um magische Goldringe und Goldbarrenreserven gefeilscht und gemordet wird. Das kapitale Spiel um Gewinn und Ertrag geht auch für die brüderlichen Baumeister der illustren Konzernanstalt nicht gut aus. Fasolt (Feridun C. Öztoprak) zieht gegen Fafner (Florian Eppinger) den tödlichen Kürzeren. Lukrativ zu punkten vermag auch Siegfrieds brutaler Ziehvater Mime (Marco Matthes) nicht. Die Figur des Siegfried hat Erich Sidler doppelt besetzt. Paul Wenning spielt den gealterten Träumer, der sich an die jugendlichen Irrungen und Wirrungen klammert, die er nicht durchschaut. Als junger, missbrauchter Berserker im Dienste des Systems wütet Paul Trempnau um alles oder nichts, bis das System aus Gier und Größenwahn in Flammen steht.

Immer wieder verschieben sich im Bühnenbild von Jörg Kiefel die grauen Wände für diese gedankliche und emotionale Tour der Force durch die Welt der mythologischen Altlasten mit ihren akuten Neben- und Nachwirkungen. Es sind abstrakte Räume, die auf der Drehbühne zu Enklaven der Macht werden oder zu Orten, an denen sich die Gegenstimmen zu ihren ebenso dramatisch aufgeladenen Widersprüchen bekennen. Bestärkende Wirkung haben die wenigen plakativen Zeichen, wenn sich erneut Machtbündnisse formieren und deren Motive weitere Alarmsignale auslösen. Solide hinter Gittern stapeln sich die Goldbarren, wenn die Rheintöchter ihre Kampfansage um weibliche Selbstbestimmtheit mit einem Blick auf die Hexenverfolgung verbinden. Für eine kapitale Jagdgesellschaft um weitere Aktienpakete und Bilanzgewinne genügt ein Hirschgeweih, dessen Hörner wie Tentakeln ihre Schatten werfen. Dann kann Wotan seinen strategischen Absturz auf dem Ergometer wenigstens sportlich ausschwitzen, während die göttliche Erda die Zeichen der Zeit vor einer Spiegelwand reflektiert, in der sich auch das Publikum spiegelt, das in Köcks dramatische Befunde involviert ist.

Das kann sich von diesem sprachgewaltigen Abend nicht nur gedanklich berauschen lassen, sondern auch von einem Schauspiel-Team, das seine Figuren mit so viel Mut zur Leidenschaft auch in ihren emotionalen Kräften bestärkt, sich all ihren Facetten zu stellen. Sei es in der politischen Expertise über den zerstörerischen kapitalistischen Wahn und seine mythologischen Altlasten oder wie sie verweigert wird und auch im kämpferischen Gegenentwurf ihren Ausdruck findet. Selbst wenn sich Rebecca Klingenbergs Brünnhilde scheinbar nur dem romantischen Liebesideal mit der weiblichen Opferbereitschaft für den kämpferischen Helden verweigert, ruft sie damit auch eine nicht enden wollende Geschichte der Verletzungen und der Demütigungen ab, die so schmerzhaft berührt wie eine offene Wunde, die nicht heilen kann.

Erich Sidler ringt mit seinem Ensemble um jeden Gedankensplitter in der Quo vadis Frage, die Thomas Köcks Textflut durchdringt. Trotzdem dürfen diese Gedankensplitter, Assoziationen und Anspielungen auf Wagners Pandämonium sich immer wieder verhaken und auch in ihrer Vieldeutigkeit verwirren und verunsichern. Seine Inszenierung vertraut auf die Dissonanzen in dieser vielstimmigen Partitur, auf dass sie das Publikum ebenfalls herausfordern, sich dieser Quo vadis-Frage aus möglichst vielen Perspektiven zu stellen, die Worte so unmittelbar auf sich wirken zu lassen wie die Gedankenbilder. Die Wirkung hält an, nicht nur über dreieinhalb bewegende Stunden, sondern über diesen großartigen Theaterabend hinaus, der mit enthusiastischem Beifall gefeiert wird.

 wagner – der ring des nibelungen von Thomas Köck in der Regie von Erich Sidler hatte am 28. Januar 2022 Premiere im Deutschen Theater Göttingen. Weitere Vorstellungen stehen am 4., 7. und 18. Februar sowie am 3. März auf dem Spielplan.